«Brücken zwischen den Welten schlagen»

    Die Stiftung Töpferhaus als Gestaltungsraum unterstützt Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung. Geschäftsführer Daniel Aeberhard gibt einen Einblick in die vielfältigen Tätigkeiten der 40-jährigen Institution.

    (Bild: Töpferhaus) Während 40 Jahren setzt sich die Stiftung Töpferhaus für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ein.

    Wie sieht die Philosophie des Töpferhauses aus, wo setzen Sie da Akzente?
    Daniel Aeberhard: In der Begleitung der rund 220 Klientinnen und Klienten arbeitet das Töpferhaus seit einigen Jahren nach dem Grundsatz von Recovery, das heisst die Intensität der Betreuung wird der persönlichen Entwicklung der Klientin/des Klienten angepasst. Es geht darum, dass die Betroffenen ihr Leben wieder selber in die Hand nehmen. Die Fachperson unterstützt die Klientin/den Klienten in diesem Prozess nur dort, wo es nötig ist. Durch diese Vorgehensweise entstehen viele individuelle Lösungsansätze. Die Betroffenen gewinnen an Problemlösungskompetenzen und wachsen in ihrer Eigenständigkeit, was wiederum ihre berufliche und soziale Integration fördert.

    Ihr Menschenbild basiert auf christlichen Werten. Wie lassen sich diese in unserer schnelllebigen Gesellschaft umsetzen und leben?
    Für uns ist die Würde des Menschen unantastbar, sie wird von uns geachtet. Wir sind überzeugt, dass jeder Mensch fähig ist, sein Leben in Verantwortung zu gestalten und darin seinen Sinn zu finden. Aus diesem Grund schaffen wir Raum zur persönlichen Entfaltung und zur Entfaltung individueller Fähigkeiten. Wir sind partnerschaftlich unterwegs, gestalten gemeinsam. Als Stiftung Töpferhaus legen wir Wert auf einen ehrlichen, respektvollen und wertschätzenden Umgang mit unseren Mitmenschen. Wir achten darauf, dass jede Art von Gespräch auf konstruktiver und vertrauensvoller Basis geführt ist, so dass sich das Gegenüber in seiner Persönlichkeit wertgeschätzt fühlt. Dies schliesst gegenseitige Feedbacks sowie sachliche und lösungsorientierte Kritik mit ein, welche der individuellen und institutionellen Weiterentwicklung dienen.

    Sie bieten Gestaltungsraum für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung. Wer wohnt oder arbeitet im Töpferhaus?

    • Menschen mit einer psychischen Leistungsbeeinträchtigung zwischen 18 und 65 Jahren. Mit Rente, Teilrente oder in Abklärung für eine Invalidenrente.
    • Personen in Integrations- und beruflichen Massnahmen der IV
    • Sozialhilfebeziehende

    Was sind die grossen Herausforderungen bei der Begleitung dieser Menschen mit psychischer Beeinträchtigung?
    Eine der grössten Herausforderungen und gleichzeitig der grösste Benefit ist, Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung individuell zu begleiten. Das Suchen nach persönlichen Lebenswegen im Spannungsfeld zwischen der individuellen Lebenssituation und den gesellschaftlichen Normen bedeutet, dass wir gefordert sind, Brücken zwischen den beiden Welten zu schlagen. Damit die Betroffenen besser verstanden werden und sie einen eigenständigeren Weg verwirklichen können.

    Was sind Ihre Standbeine und Geschäftsbereiche?
    Wie bereits erwähnt hat die Stiftung Töpferhaus vier Standorte, zwei in Aarau und je einer in Lenzburg und Suhr. Sie ist in vier Tätigkeitsbereiche organisiert: Wohnen, Arbeiten, Tagesstätte und Job Coaching mit in der Betreuungsintensität abgestuften Arbeits- und Tagesstättenplätze sowie verschiedenen Wohnmodellen. Produktseitig ist sie schwerpunktmässig im Genuss- (Teigwaren, Backwaren, Frischprodukte) und Kreativbereich (Herstellen von Karten und Bienenwachstüchern) tätig. Sie erledigt aber auch industrielle Aufträge, von einfachen Mailings bis zu komplexen Konfektionsarbeiten. Dank der langjährigen Zusammenarbeit mit Coop, verschiedenen Detailhändlern und anderen Kunden ist der Produkterlös ein wichtiges Standbein geworden. Hauptsächlich aber wird die Stiftung Töpferhaus dank Leistungsverträgen mit dem Kanton von der öffentlichen Hand finanziert.

    Wie erleben Sie die Inklusion Ihrer Klientinnen und Klienten?
    Die Gesellschaft tut sich heute nicht mehr so schwer mit psychisch beeinträchtigten Menschen wie vor 40 Jahren. Trotzdem passiert eine Kategorisierung in Gesund und Krank sehr schnell. Deshalb ist es dem Töpferhaus wichtig, Klientinnen und Klienten in eine möglichst hohe Selbständigkeit zu führen und sie zu befähigen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zunehmen. Der Neubau in Suhr ist ein weiterer Beitrag zur Inklusion, steht doch das Gebäude mitten in einem Wohnquartier. Die Cafeteria und die Aussenanlage dienen zudem als Austausch- und Begegnungsort für Anwohnerinnen und Anwohner. Auch unsere Produkte fördern die Inklusion – zu erleben, wie ein Produkt entsteht und wohin es geliefert wird oder es in Verkaufsläden ausgestellt sehen. Solche Erfolge geben Sinn und fördern das Miteinander.
    Im Herbst finden zum Beispiel zum 7. Mal die «Aktionstage Psychische Gesundheit» statt, organisiert vom Kanton Aargau zusammen mit dem Netzwerk Psychische Gesundheit Kanton Aargau. Mehr als 30 Institutionen sensibilisieren für das Thema. Als Töpferhaus werden wir in Kooperation mit vier anderen Partnern auch einen Anlass organisieren. Dies sind immer gute Möglichkeiten, Einblick in unseren Alltag zu geben, mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen und eventuelle Vorurteile abzubauen.

    Welche Auswirkung hat Corona auf das Töpferhaus respektive Ihre Klientinnen und Klienten?
    Wie alle war auch das Töpferhaus in dieser unsicheren und ungewohnten Situation gefordert. Vieles musste geändert, ausgehalten und umdisponiert werden. Die Folgen des Virus machten sich im Organisatorischen, in der Kommunikation (online anstatt analog), in der Belegung der Plätze (vor allem Arbeitsplätze der Klientinnen und Klienten) und im Umsatzeinbruch bemerkbar. Klientinnen und Klienten als vulnerable Personen galt es zu schützen, ihnen mit grossem Verständnis zu begegnen, wenn jemand zu Hause bleiben wollte. Dank gutem Miteinander und kreativen Lösungen haben wir immer wieder Wege gefunden und trotz Pandemie blicken wir auf ein gelungenes 2020 zurück.

    Wie wird der 40. Geburtstag der Töpferhause gefeiert?
    Aufgrund der aktuellen Situation – auch wenn sich diese bessert – ist das Feiern noch etwas eingeschränkt. Geplant ist im September ein Anlass mit dem Titel «Doppelt feiern.» Dabei werden wir die «40 Jahre Töpferhaus» und den Bezug des Neubaus in Suhr (im Juli) mit geladenen Gästen feiern. Mit unserer Aktion «Danke» überraschen wir Personengruppen der Region (z.B. Briefträger, Polizisten, Team der Intensivpflege KSA etc.) mit dem Gebäck Bachfisch und wollen dadurch unseren Dank für ihre Arbeit und ihren Einsatz für die Allgemeinheit ausdrücken. Unsere Kunden/-innen und Partner/-innen werden wir mit einer Genussbox à la Töpferhaus sowie die Mitarbeitenden mit einem anderweitigen Präsent überraschen.

    Welchen Stellenwert hat das Töpferhaus in der Gesellschaft?
    Das Bedürfnis nach Institutionen wie dem Töpferhaus ist heute unbestritten. Die Nachfrage nach Plätzen mit Tagesstruktur, im Wohncoaching und für Angebote junger Menschen zwischen 18 und 25 Jahren steigt. Deshalb hat die Stiftung Töpferhaus Ende 2020 ein weiteres Kreativatelier und ein Mitarbeiterbüro des Externen Wohnens im Gebäude der Alpsteg Fenster am Niederlenzer Kirchweg 17 in Lenzburg eröffnet. Im Juli ist der Neubau am Schützenweg 5 in Suhr mit Produktionsräumen und 19 Studiowohnungen fürs teilbetreute Wohnen bezugsbereit. Auch der Kanton hat die Wichtigkeit dieser Plätze erkannt und plant, den ambulanten Teil auszubauen, was wir als Töpferhaus sehr begrüssen.

    Was wünsche Sie sich für die nächsten 40 Jahre des Töpferhause?
    Eigentlich wäre es schön, wenn es unsere Arbeit in den nächsten 40 Jahren gar nicht mehr brauchen würde. Doch die aktuelle Situation weist eher in eine andere Richtung: psychische Herausforderungen steigen weiter. Sie werden also also Teil unserer Gesellschaft bleiben. Deshalb setzen wir uns auch in den kommenden Jahren dafür ein, für Menschen einen Gestaltungsraum zu sein.

    Interview Corinne Remund


    Porträt Stiftung Töpferhaus

    Die Stiftung Töpferhaus mit Standorten in Aarau, Lenzburg und Suhr unterstützt Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung. Die rund 220 Klientinnen und Klienten werden mit Wohn- und Arbeitsangeboten, zwei Tagestätten und Job Coaching von 65 Mitarbeitenden in ihrer beruflichen und sozialen Integration begleitet: interdisziplinär und professionell, fokussiert auf Selbstverantwortung und Lebensqualität.
    Das Töpferhaus ist im Grossraum Aarau auch bekannt durch seine innovativen Produkte: Die feinen Bio-Teigwaren «Pasta Mia», den süssen Bachfisch, die Gugelhöpfli und Rüeblitörtli, die Goldstücke aus zartschmelzender Giandujamasse und das Aargauer Schlossgebäck Leckerlin.

    www.toepferhaus.ch

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