Fotoreporter veröffentlicht sein Lebenswerk als Buch

    James Bond beim Melken, Familie Wyssen auf der halsbrecherischen Drahtseilbahn oder Bundesrat Adolf Ogi im Kopfstand: Der Fotoreporter Siegfried Kuhn fotografierte während 33 Jahren im Dienste des Verlagshauses Ringier. In der Fotopublikation «Siegfried Kuhn Pressefotograf 1959-1995» verrät er nun die Stories hinter den Bildern. Ende Juni feierte das Buch im Stadtmuseum Aarau Vernissage.

    (Bild: Privatarchiv Kuhn, © Siegfried Kuhn) Roger Moore beim Melken der Kuh «Meieli» im Stall von Landwirt Zingre in Gstaad, 1981.

    Fotografen fotografieren. Manchmal jedoch, schreiben sie auch, etwa, wenn sie zu ihren Reportagen nicht nur die Fotos, sondern auch die Texte liefern, oder, wie im Fall von Siegfried Kuhn, der, nach Abschluss seiner Karriere seine Erfahrungen und Erlebnisse zu Papier bringt. Anhand von Fotos, Reportagen und vielen anderen Dokumenten schrieb er über 140 längere und kürzere Geschichten aus der Perspektive des Mannes hinter der Kamera. Die Publikation ist Schau- und Leseerlebnis und zugleich eine fotohistorische Informationsquelle einer Epoche, für die Monografien noch rar sind.

    Als erfrischende Autobiografie der anderen Art gibt der Bildband einen Einblick in die Entstehung von Pressefotografien und ihren Weg in die Illustrierten. Für das Buch wählte Kuhn nicht nur jene Fotos aus, die auf den Titelblättern und in den Reportagen erschienen, sondern auch solche, die er davor probehalber anfertigte oder jene, die es nicht in die veröffentlichte Auswahl brachten oder als Hilfsbilder dienten.

    Auf erfrischende Art und Weise machen diese Materialien den Reporteralltag zwischen Sensation und Routine erlebbar, geprägt von Autofahrten und oft stundenlangem Warten bis zum entscheidenden Klick, sei dies nun im Vorzimmer von Politikern oder am Rand von Skirennpisten.

    Geschichten hinter den Bildern: Roger Moore (1981)
    «Während seiner grossen Zeit als James-Bond-Darsteller plante die ‹Schweizer Illustrierte› 1981 eine Reportage mit Roger Moore. Doch die Bildausbeute war nach zwei Sujets immer noch unbefriedigend für einen umfassenden Bildbericht. Spontan fragte ich ihn, ob er sich beim Melken fotografieren lassen würde. Roger Moores Reaktion war erstaunlich. Einerseits fand er die Idee keineswegs abwegig. Andererseits konnte er melken! Moore freute sich spitzbübisch, dass er uns mit seinen Melkkünsten überraschen konnte, und erklärte, dass er sich diese als Kind auf der Farm seines Onkels angeeignet hatte. Der Schauspieler setzte sich auf den Melkstuhl und begann mit dem Melken, eine Fliege landete auf seinem Rücken und – welch Glück – die Kuh «Meieli» guckte auch noch in Richtung Kamera. Roger Moore grinste, ich drückte auf den Auslöser der Kamera, das Titelbild der ‹Schweizer Illustrierten› (Nr. 25, 1981) war perfekt!»

    Der rennende Bundesrat
    «Sport war eines der Themen, die Adolf Ogi am besten lagen. Wenn nötig, schlüpfte er auch gerne in die Rolle des Sportlers, die er immer kompetent und formidabel interpretierte. Am 1. Juli 1991 war ich aufgeboten worden, um zu einem Interview mit dem Bundesrat einige Bilder zu machen. Nach einem Foto des Rennenden Bundesrats wurde die obligate Aufnahme im Kreis der Familie geschossen. Danach gelang mir eines der speziellsten Bundesratsfotos überhaupt: Adolf Ogi im Kopfstand. Bildredaktor Jürg Klotz hatte bei der Auswahl des Bildmaterials für die Reportage die Qual der Wahl. Die Aufnahme mit dem Kopfstand fiel dann leider weg, zugunsten einer einfacheren mit Ogi bei einer Bodenübung. Die Fotos vom laufenden Bundesrat waren aber schliesslich der Aufhänger der Geschichte (Nr. 28, 1991). Der Titel der ‹SI›-Nummer lautete: ‹Der Marathon-Mann›. Dabei war es egal, dass ich ihn auf einer Kurzstrecke abgelichtet hatte.»

    Familie Wyssen, oder: eine halsbrecherische Drahtseilbahn im Engstligental
    «Abgelegen und hoch über dem Engstligental im Berner Oberland liegt der Weiler Linter, der Wohnort von Landwirt Jakob Wyssen, seiner Frau Vreni und ihrer Familie. Ohne Strasse waren sie noch bis Ende der 1980er-Jahre vom Talboden abgeschnitten und nur über einen Fussweg erreichbar. Eine Transportbahn gewährleistete die Versorgung mit dem Nötigsten. Im Winter gab es gar keinen direkten Zugang vom Tal aus, und man kam nur über Umwege zum Weiler. Um dennoch rasch ins Tal zu kommen, hatte sich die Familie eine zwar patente, aber recht halsbrecherische Lösung ausgedacht. Vom Weiler Linter hatten die Wyssens über einen hundert Meter tiefen Graben ein 400 Meter langes Drahtseil zum benachbarten Weiler Ladholz gespannt. Mit einer einfachen Sitzgelegenheit, die mit einer Rolle auf dem Seil lief, war es so möglich, sich hinüber- und auch wieder zurückgleiten zu lassen. Alle Bewohner des Weilers nutzten das seltsame Transportmittel, egal, ob Erwachsene oder Schulkinder.»

    pd


    Zur Person
    Siegfried Kuhn, geboren 1931, absolvierte 1947–1950 seine Lehre als Fotograf in Lyss. Von 1959 bis 1962 arbeitete er als Fotoreporter für den «A.T.P. Bilderdienst» in der Niederlassung in Bern, von 1962 bis 1995 war er hauptsächlich für die «Schweizer Illustrierte» tätig. Seine Reportagen und Fotos erschienen jedoch in über zwanzig verschiedenen Illustrierten, Magazinen und Tageszeitungen.

    Herausgeber
    Markus Schürpf führt seit 1999 das Büro für Fotografiegeschichte und leitet den Aufbau des Online-Nachschlagewerks fotoCH. Seit 2005 ist er zudem Leiter des Paul Senn-Archivs im Kunstmuseum Bern.

    Über das Buch
    Siegfried Kuhn – Pressefotograf, 1959–1995
    Herausgeber: Fotobüro Bern
    Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
    424 Seiten, ca. 920 Abbildungen s/w und farbig,
    Klappenbroschur,
    ISBN 978-3-03942-041-4
    Verkaufspreis: CHF 49

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