«Die BGI destabilisiert den Werkplatz Aargau massiv»

    Stefan Huwyler, Grossrat und Geschäftsführer FDP Aargau und Aargauer Komitee «NEIN zur Kündigungsinitiative», will den schlank und effizient organisierten Werkplatz des Exportkantons Aargau weiterhin erhalten. Deshalb kämpft er vehement gegen die brandgefährliche Begrenzungsinitiative BGI, die am 27. September zur Abstimmung kommt. Sie würde die vertraglichen Beziehungen zu wichtigen Handelspartner im Ausland kappen und tausende von Arbeitsplätzen im Aargau sowie in der ganzen Schweiz gefährden.

    (Bild: zVg) Stefan Huwyler, Aargauer Grossrat und Geschäftsführer der FDP Aargau setzt sich für den Wirtschaftsstandort Aargau ein und bekämpft die schädliche Begrenzungsinitiative – denn sie bedeutet weniger Wertschöpfung, weniger Arbeit, weniger Arbeitsplätze.

    Ein Ja zur Begrenzungsinitiative BGI wird in Wirtschaftskreisen als äusserst gefährlich eingestuft. Gefährdet sie unseren persönlichen Wohlstand?
    Stefan Huwyler: Ja, das tut sie. Eine Annahme der BGI würde auch das Ende der bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU bedeuten, eine Aufkündigung der bewährten Zusammenarbeit. Es ist deshalb nichts anderes als eine Kündigungsinitiative. Ohne Bilaterale würde das BIP in der Schweiz gemäss einer Studienerhebung 3,9 Prozent tiefer liegen. Was das bedeutet ist klar: weniger Wertschöpfung, weniger Arbeit und damit auch weniger Arbeitsplätze.

    Gemäss Bundesrätin Karin Keller-Sutter ist ein Ja zur Begrenzungsinitiative der SVP noch schlimmer als der Brexit. Sehen Sie das auch so?
    Der Brexit betrifft die Schweiz indirekt, indem die Handelsbeziehungen mit Grossbritannien nach dessen EU-Austritt neu aufgebaut werden müssen. Eine Annahme der Kündigungsinitiative BGI hätte zur Folge, dass auch die bilateralen Verträge mit allen verbleibenden EU-Staaten, darunter unsere Nachbarn und wichtigen Handelspartner wie Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien wegfallen. Die Folgen wären in der Tat aus Schweizer Sicht noch sehr viel weitreichender als der Brexit.

    Hauptargument gegen die BGI ist das Vernichten von Arbeitsplätzen. Erklären Sie das?
    Ohne bilaterale Verträge mit der EU wird der Zugang für Schweizer Unternehmen zu europäischen Absatzmärkten enorm erschwert. Grosse zolltechnische und bürokratische Hürden sind Gift für den schlank und effizient organisierten Werkplatz Schweiz. Gerade der Aargau und seine Bevölkerung leben und profitieren von einer starken Industrie. Diese wiederum lebt zu wesentlichen Teilen von der Exportwirtschaft. Und 64 Prozent der Exporte aus dem Aargau gehen in die EU. Gute vertragliche Beziehungen zur wichtigsten Handelspartnerin sind existenziell für die Aargauer Wirtschaft und sichern Tausende von Arbeitsplätzen.

    Sie argumentieren mit dem Wegfall der bilateralen Verträge. Wie hängt das einfach erklärt mit der BGI zusammen?
    Das Personenfreizügigkeitsabkommen ist Teil der «Bilateralen I», welche das Schweizer Stimmvolk im Jahr 2000 mit einer Zweidrittelsmehrheit angenommen hat. Wenn dieses Abkommen gekündigt wird, fallen nach sechs Monaten automatisch auch die anderen sechs Abkommen des Vertragspaketes weg, aufgrund der sogenannten «Guillotineklausel». Die Schweiz hätte also nicht nur kein Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU mehr, sondern stünde bspw. auch ohne das Abkommen über den Abbau technischer Handelshemmnisse da, einem sehr wichtigen Abkommen für die exportierende und importierende Wirtschaft.

    Die Initianten argumentieren, dass sich die Zuwanderung von Fachkräften auch anders regeln lässt – zum Beispiel mit Kontingenten, wie sie heute schon für Personen aus Drittstaaten gelten.
    Die Personenfreizügigkeit hat sich für Schweizer Arbeitgeber wie Arbeitnehmer bewährt. Die Erfahrungen mit einem Kontingente-System in der Vergangenheit waren anders. Für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer bedeuteten sie viel Bürokratie, die Zuwanderung wurde dadurch ebenfalls nicht gebremst. Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit deutlich, wo beispielsweise in der Zeit zwischen 1950 und 1971 hunderttausende Migrantinnen und Migranten in die Schweiz einwanderten. Oder zwischen 1984 und 1990 waren es 300’000. Damals hatte man Kontingente.

    Viele Schweizer sorgen sich gerade jetzt in der Corona-Krise um ihren Arbeitsplatz. Ist das nicht der Moment, um die Zuwanderung zu bremsen?
    Fakt ist, dass weit und breit keine Alternative zum bilateralen Weg in Sicht ist. Vielmehr ist es so, dass die BGI die Schweiz und den Aargau in ohnehin sehr schwierigen Zeiten zusätzlich destabilisieren würde. Was passiert, wenn die Grenzen zeitweise geschlossen sind, hat sich im Lockdown gezeigt. Unternehmen im Grenzgebiet hatten grosse Probleme, weil Mitarbeiter, die als Grenzgänger über die Landesgrenzen pendeln, nicht oder nur noch eingeschränkt zur Arbeit kommen konnten. Und gerade im Aargau sind Grenzgänger in verschiedensten Branchen wichtige, unverzichtbare Arbeitskräfte. Man kann es auch von der anderen Seite sehen: ohne Personenfreizügigkeit sind auch die Ausbildungsmöglichkeiten für Schweizerinnen und Schweizer im EU-Ausland stark eingeschränkt. Gut ausgebildete Nachwuchskräfte sind wichtig, auch um das eigene, inländische Wirtschaftssystem zu schützen.

    Die Schweizer Bevölkerung wächst, und es ist legitim, dass man sich die Frage der Grenzen dieses Wachstums stellt. Was spricht aus dieser Sicht gegen die BGI?
    Ja, kritische Fragen sind in einer Demokratie immer erlaubt. Nun haben aber die Stimmberechtigten in der Schweiz seit der Annahme der Bilateralen I vor 20 Jahren bei verschiedensten Abstimmungen – insgesamt acht an der Zahl – den bilateralen Weg immer wieder bestätigt. 2014 wurde die Masseneinwanderungsinitiative knapp angenommen, das war ein Fingerzeig für eine Kurskorrektur, die auch vorgenommen wurde. Seither sind wieder drei Abstimmungen deutlich für den bilateralen Weg ausgefallen, mit 63 Prozent und mehr Ja-Stimmen. (Anmerkung: Es handelt sich um die Ecopop-Initiative, abgelehnt mit 74,1 Prozent, die Selbstbestimmungsinitiative, abgelehnt mit 66,2 Prozent und die neue EU-Waffenrichtlinie, angenommen mit 63,7 Prozent).

    Beeinflusst die aktuelle, unsichere Situation den Ausgang dieser Abstimmung?
    Die allgemeine aktuelle Lage wirkt sich in aller Regel auch auf das Abstimmungsverhalten aus, das wird auch hier so sein. Es stellt sich die Frage, ob die Stimmbevölkerung den Halt eher beim bewährten bilateralen Wirtschaftssystem sucht oder bei einem weiteren Versuch der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Isolation, nämlich der Kündigungsinitiative. Ich bin optimistisch, dass die Schweizerinnen und Schweizer die Zusammenhänge richtig einordnen, längerfristig denken und die Kündigungsinitiative ablehnen.

    Nehmen wir den «Worst Case» an und die Befürworter gewinnen. Wie geht es mit dem Wirtschaftsstandort Schweiz weiter?
    Ich bin kein Hellseher, aber es würde sicher sehr schwierig werden und viele – gerade kleine und mittelgrosse Unternehmen – müssten ihre Strukturen stark verändern und in der Administration aufstocken, um die anstehende Bürokratie-Flut zu bewältigen. Sicher nicht das, was man in ohnehin schon schwierigen Zeiten sucht. Die Schweizer Wirtschaft würde mittelfristig auch diese Herausforderung irgendwie stemmen, aber der Flurschaden wäre erheblich. Man muss davon ausgehen, dass viele Unternehmen sich grundlegend neu aufstellen müssten, die Wertschöpfung massiv leidet und zahlreiche Arbeitsplätze verloren gehen würden.

    Was tut die FDP Aargau, um die Aargauerinnen und Aargauer von einem NEIN zu überzeugen?
    Wir haben im Aargau ein abgestütztes, überparteiliches Komitee zum Widerstand gegen die Kündigungsinitiative formiert, das wir von Seiten FDP leiten. Dem Komitee gehören die Aargauische Industrie- und Handelskammer (AIHK) sowie die Kantonalparteien von CVP, GLP, EVP und BDP an – mit zahlreichen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, darunter beispielsweise die drei Regierungsmitglieder Markus Dieth (CVP), Stephan Attiger (FDP) und Urs Hofmann (SP), Ständerat Thierry Burkart (FDP), AIHK-Präsidentin Marianne Wildi und viele weitere. Gemeinsam mit den Mitgliedern des Komitees informieren wir die Stimmbevölkerung über die Gefahren und negativen Auswirkungen einer Annahme der BGI.

    Interview: Corinne Remund


    Die Begrenzungsinitiative und ihre Folgen für den bilateralen Weg
    Am 27. September 2020 stimmt die Schweiz über die Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)» ab. Sie verlangt das Ende der Personenfreizügigkeit mit der EU und hat zum Ziel, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern wieder eigenständig regelt. Da die Personenfreizügigkeit durch die sogenannte «Guillotine-Klausel» mit sechs weiteren Abkommen der Bilateralen I verknüpft ist, würde durch die Kündigung der Personenfreizügigkeit das gesamte Vertragspaket ausser Kraft gesetzt werden (weshalb die Gegner auch von der «Kündigungsinitiative» sprechen). Namentlich das heutige Forschungsabkommen der Schweiz mit der EU wäre mit einem Ja zur Initiative gefährdet.

    www.kündigung-nein.ch oder www.aargauerkomitee.ch

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